Porsche hat bei der Konzeption des Le-Mans-Siegers ausgereizt, was machbar war. Das gilt vor allem für das Antriebskonzept. Es besteht aus einem Zweiliter-Vierzylinder-Turbobenziner, dem effizientesten Verbrennungsmotor, den Porsche bislang gebaut hat, und zwei unterschiedlichen Energierückgewinnungssystemen.
Beim Bremsen wird an der Vorderachse kinetische in elektrische Energie umgewandelt. Im zweigeteilten Abgastrakt sitzt neben dem Turbolader noch eine zweite Turbine, die überschüssige Energie in elektrische Energie umwandelt. Der Beitrag der Bremsenergie liegt bei 60 Prozent, jener aus dem Abgasdruck bei 40 Prozent. Der gewonnene elektrische Strom wird in einer Lithium-Ionen-Batterie zwischengespeichert und speist bei Bedarf einen Elektromotor. Bedarf heißt: Der Fahrer will beschleunigen und ruft die Energie per Knopfdruck ab. Die Leistung des Verbrennungsmotors liegt nach der jüngsten Reglementänderung bei knapp unter 500 PS, die Leistung der E-Maschine bei deutlich über 400 PS.
Der Einsatz und das Zusammenspiel dieser beiden Quellen erfordern eine ausgeklügelte Strategie. In jeder Bremsphase sammelt der Speicher Energie ein – es wird rekuperiert. Auf der 13,629 Kilometer langen Runde in Le Mans geschieht das 38 Mal, eben vor jeder Kurve. Mal mehr mal weniger stark, das hängt von der Heftigkeit des Manövers ab, sprich: von der Geschwindigkeit, aus der die Fahrer anbremsen und wie eng die folgende Kurve ist. Bis zum Scheitelpunkt jeder Kurve wird gebremst und rekuperiert, dann beschleunigt der Fahrer wieder. In diesem Moment will man so viel Energie wie möglich absetzen. Dafür tritt der Fahrer zum einen aufs Gaspedal und ruft damit Kraftstoffenergie ab, zum anderen “boostet” er elektrische Energie aus dem Speicher. Während der Verbrennungsmotor die Hinterachse antreibt, ist der Elektromotor für die Vorderachse zuständig. Der 919 prescht also ohne Traktionsverluste mit Allradantrieb aus der Kurve – und sammelt unterdessen bereits wieder Energie ein. Vor allem auf der extrem langen Hunaudières-Geraden, wo der 919 über 330 km/h schnell wird, ist die zusätzliche Turbine im Abgastrakt fleißig. Bei konstant hohen Motordrehzahlen schnellt der Druck im Abgassystem nach oben und treibt die direkt mit einem elektrischen Generator verbundene Zusatzturbine an. Allerdings sind beide Energiequellen limitiert: Mehr als 4,65 Liter Sprit pro Runde darf der Fahrer nicht einsetzen und auch nicht mehr als 2,22 Kilowattstunden elektrischen Strom. Er muss sorgfältig haushalten, damit er am Ende der Runde exakt diese Energie verbraucht hat – nicht mehr und nicht weniger. Verbraucht er mehr, wird er bestraft. Ist es weniger, verliert er Performance. Er muss zum exakt richtigen Zeitpunkt aufhören, zu boosten und im richtigen Moment vom Gas gehen.
Die 2,22 Kilowattstunden elektrischer Energie entsprechen acht Megajoule – und das ist die höchste Energieklasse, die das Reglement vorsieht. Porsche war der erste und zumindest 2015 auch der einzige Hersteller, der sich so weit vorgewagt hat. Audi und Toyota konnten nur vier beziehungsweise sechs Megajoule darstellen.
Für die Konzeptwahl wurden die einzelnen Alternativen eingehend betrachtet. Dass man die Bremsenergie von der Vorderachse nutzen würde, war sofort klar – fette Energiebeute auf teilweise bereits erschlossenem Terrain, gepaart mit massiver Weiterentwicklung. Als zweites System kamen eine Bremsenergierückgewinnung an der Hinterachse oder eben Abgasenergierückgewinnung in Frage. Zwei Aspekte sprachen für die Abgaslösung: Erstens das Gewicht und zweitens die Effizienz. “Bei der Bremsenergierückgewinnung muss das System die Energie innerhalb sehr kurzer Zeit rekuperieren, also mit sehr viel Leistung umgehen können, und das geht zulasten des Gewichts. Die Beschleunigungsphasen hingegen sind viel länger als die Bremsphasen, es wird also über längere Zeit rekuperiert, und das macht das System leichter. Außerdem hat der 919 durch den Verbrenner ja bereits einen Antrieb auf der Hinterachse. Noch mehr Leistung hinten, hätte mehr Schlupf erzeugt. Kapituliert die Hinterachse vor zu viel Leistung und kann diese nicht in Vortrieb umsetzen, entsteht ineffizienter Schlupf. Außerdem strapaziert dies die Reifen bis hin zur massiven Beschädigung.
Die wahrscheinlich mutigste Grundlagenentscheidung: Für das Hybridsystem des 919 setzte Porsche auf 800 Volt. Die Spannungslage anzusiedeln, ist eine fundamentale Entscheidung beim Elektroantrieb. Sie beeinflusst alles – Batteriedesign, Elektronikdesign, E-Maschinen-Design und Lade-Technologie. Porsche ist dabei so weit gegangen, wie es nur irgend möglich war.
Es war schwierig, für diese hohe Spannung Bauteile zu finden, vor allem ein geeignetes Speichermedium. Schwungradspeicher, Superkondensatoren oder Batterie? Porsche entschied sich für eine flüssigkeitsgekühlte Lithium-Ionen-Batterie. Sie verfügt über hunderte einzelner Zellen, jede eingeschlossen in einer eigenen zylindrischen Metallkapsel – sieben Zentimeter hoch und 1,8 im Durchmesser.
Bei einem Straßen- wie bei einem Rennwagen muss abgewogen werden zwischen Leistungsdichte und Energiedichte. Je höher die Leistungsdichte einer Zelle, desto schneller kann sie geladen werden und Energie wieder abgeben. Der andere Parameter, die Energiedichte, bestimmt die Menge der Energie, die gespeichert werden kann. Im Rennbetrieb muss die Zelle – bildlich gesprochen – eine riesige Öffnung haben. Denn sobald der Fahrer auf die Bremse tritt, muss im Hieb eine gewaltige Energiemenge hinein, und wenn er boostet, muss sie genauso schnell wieder hinaus. Ein alltagstauglicher Vergleich: Hätte die leere Lithium-Ionen-Batterie eines Smartphones die Leistungsdichte der 919-Batterie, wäre sie nach etwa zwanzig Sekunden Ladezeit wieder komplett voll. Der Nachteil: Ein kurzer Anruf – und der ganze Saft ist schon wieder weg. Damit das Smartphone tagelang durchhält, steht die Energiedichte im Vordergrund, also die Speicherkapazität.
Übersetzt auf ein Elektroauto im Alltagsbetrieb bedeutet Speicherkapazität Reichweite. In dem Punkt sind die Bedürfnisse für den Rennwagen und ein Elektroauto für die Straße verschieden, aber Porsche ist beim 919 in Regionen des Hybridmanagements vorgestoßen, die bis dahin unvorstellbar waren. Die für die Konzeptstudie Mission E vorgesehenen permanent-erregten Synchronmotoren sind praktisch die zivilen Brüder der Motor-Generator-Einheit (MGU) aus dem Le-Mans-Prototypen. Der 919 war das Versuchslabor für das Spannungsniveau von zukünftigen Hybridsystemen. Aus dieser Erfahrung gewannen die Kollegen in der Serienentwicklung den Mut, den viertürigen Mission E mit 800-Volt-Technik vorzustellen. Die Studie soll bis zum Ende des Jahrzehnts in Serie gehen.
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